Everyone poops.

21. November 2006

Emsdetten

Okay, this time it's German only because it'd be way too much to translate it. Sorry for that.

Am Vormittag des 20. November 2006 kam es zu einem Amoklauf an einer deutschen Realschule in Emsdetten mit 37 Verletzten. Nachdem der Täter, Sebastian B., mehrere Schüsse wahllos auf dem Pausenplatz abgegeben hatte, brachte er sich selbst um.

Wieso? Die Frage, die uns beschäftigen sollte, ist wie es dazu kommt, dass sich jemand zu einem solchen Schritt entscheidet. Allzu oft wird aber eben diese in den Medienberichten nur an der Oberfläche angekratzt oder gar ganz falsch ausgelegt. Die Medien interessieren sich mehr dafür, dass der Täter so genannte „Killerspiele“ spielte, anstatt nach den wahren Ursachen seiner Tat zu suchen und Politiker fordern sogleich einen Verbot von Killerspielen.

Um den Verdacht nicht nahe zu legen, dass ich, selber Computerspieler, eine einseitige und vorbestimmte Sichtweise hätte, will ich hier ausdrücklich festhalten, dass es nicht abzustreiten ist, dass Videospiele mit exzessiver Gewaltdarstellung nicht komplett unbeteiligt an den Ursachen sind. In einem gewissen Masse kann man sagen, dass sie für psychisch und/oder sozial geschädigte Menschen einen negativen Effekt ausüben können. Einen direkten Einfluss konnte jedoch noch keine Studie nachweisen und solange keine handfesten Beweise vorliegen, muss man davon ausgehen, dass es für die meisten Spieler nicht gilt.

Die reflexartige Zuschiebung der Schuld an die Killerspiele (welche bis heute noch nicht definiert sind. Man redet also von etwas, von dem man nicht einmal weiss, was es ist) ist also komplett unangebracht und zeugt nur von einer Hilflosigkeit im Denken. Überschriften wie „Killerspiele sind Schuld?“ lassen den Leser doch sofort Position beziehen. Da hätte man das Fragezeichen auch ganz weglassen können. Sätze wie "Nach der Tat beging der Schütze, der ein fanatischer Anhänger von PC-"Killerspielen" war, Selbstmord." sind nichts als Hetze.
Aber wieso auch nicht? Computerspiele sind der perfekte Sündenbock. Für die Masse verständlich und greifbar, lenken sie zudem von den wahren Problemen ab. Wen interessiert es da noch, dass im Abschiedsbrief (evtl. bald vom Netz gestellt, wie einige Seiten mit Material zum Fall auch schon) steht „Das einzige, was ich intensiv in der Schule beigebracht bekommen habe, war, dass ich ein Verlierer bin.“ oder „Ich verabscheue Menschen“ oder „Ihr habt diese Schlacht begonnen, nicht ich. Meine Handlungen sind ein Resultat eurer Welt, eine Welt die mich nicht sein lassen will wie ich bin. Ihr habt euch über mich lustig gemacht, dasselbe habe ich nun mit euch getan, ich hatte nur einen ganz anderen Humor!“ oder dass alle Türken in Deutschland vergast werden sollen. Auch für seinen offensichtlichen Militarismus und wie er überhaupt an Waffen (am 21. November hätte er einen Gerichtstermin wegen illegalem Waffenbesitz gehabt!) und Sprengstoffe kommt oder für die Tatsache, dass er zweimal sitzen geblieben ist, ein Aussenseiter war, die in ihm aufgekommenen Aggressionen auf seinem Weblog aufgeschrieben wurden und dass er seine Rache an der Gesellschaft schon vorher im Internet angekündigt hat, mit der Begründung, dass er es nicht länger aushalten kann, in einer für ihn sinnlosen Welt zu leben, die von Hass, Betrug und Konkurrenzdenken bestimmt ist und in der es anscheinend keinen Platz für ihn gibt (und nicht weil er einfach gerne ballert), interessiert sich niemand. Die wahren Ursachen bleiben weiterhin unaufgedeckt, keine Spur von interpretativem Journalismus.

Schliesslich müssten sich Politiker eingestehen, dass sie die Verantwortung dafür tragen, dass ihre Einsparungen im Bildungssektor sich negativ auswirken, die Eltern müssten zugeben, dass sie den Kindern nicht die ihnen zustehende Aufmerksamkeit erbringen, die Gesellschaft müsste sich eingestehen, dass sie selber schuld dafür ist. Solange aber Sündenböcke bestehen (früher waren es Filme und Rockmusik) besteht kein Anlass irgendetwas zu ändern. Das Zitat eines Jugendbeauftragten der Polizei finde ich da sehr passend: "Die Leute werden überrascht sein, wie viele Amokläufe es nach dem Verbot von Killerspielen noch geben wird."


Quo Vadis? Ein Verbot von Killerspielen würde rein gar nichts verändern (Videospiele sollen verboten werden, aber der Staat darf mich immer noch in den Krieg schicken um reale Menschen zu töten?). Man muss das Problem bei seinen Wurzeln packen und diese reichen tief, sehr tief.
Bildung muss gefördert (Ja zum Familienzulagengesetz), Arbeitslosigkeit bekämpft und ein gesellschaftliches Klima geschaffen werden. Was dazu notwendig ist, soll sich am besten jeder selbst überlegen.

Zuletzt will ich sagen, dass ich die Tat keinesfalls rechtfertigen oder verteidigen will. Was er getan hat, ist falsch. Egal unter welchen Umständen. Was ich verurteile ist die nicht vorhandene Bereitschaft sich mit unangenehmen Themen kritisch auseinanderzusetzen und sich auch einmal selber am Schopf zu packen. Sonst stehen wir in ein paar Jahren wieder vor dem gleichen Bild, nur mit einem anderen Sündenbock.

Ich bitte um Feedback und Diskussion in den Kommentaren.

(Einen sehr lesenswerten Beitrag zum Thema gibt es auf antigames)

6 Kommentar(e):

Unknown hat gesagt…

Hallo,

ich hab seit gestern insgesamt 10 Briefe an Bundestagsabgeordeten geschrieben. Sowie Heute Morgen einen Brief an Herr Beckstein, da ich diese Stammtischparolen nicht mehr langer hin nehmen.

Desweitern werde ich auch keine Waren der Computerindustrie hier in Deutschlaand kaufen, da ich es nicht einsehe diesen Staat mit meiner Mehrwertsteuer zu unterstutzen.

MfG.

Werner "Actionman" Schneider

Anonym hat gesagt…

hey sevi
super, stimme dir zu. das problem liegt nicht (nur) an den Spielen, mit diesen Spielen hat man ja noch lange keine Knarre um jemanden zu erschiessen o. ä.

es muss aber auch gesagt werden, dass solche (und natürlich auch andere) games die integration nicht vorwärtsbringen.

gruäss
flo

Sevi hat gesagt…

Integration gehört auch nicht zu den Aufgaben von Videospielen, sondern zu denen von Eltern, Lehrern, Freunden und Mitschülern.
Recht hast du natürlich. Übermässiger Konsum ist schädlich, egal ob es um Fernsehen, Videospiele oder etwas anderes geht.

Anonym hat gesagt…

Gute Einstellung actionman! :D

Ich finde es hängt sehr von der Persönlichkeit des Spielenden ab. Manche können gut mit Videogames umgehen und andere haben Mühe solche Dinge zu verarbeiten, unbewusst.
Mitschüler tragen einen grossen Beitrag zur Integration bei, jedoch gehen jene nicht ewig auf den 'Befallenen' ein. Irgendwann wird es auch denen zu mühsam ihn ('Er' ist bei mir absichtlich männlich, da mir kein solcher Fall mit einer 'Sie' bekannt ist) jedes Wochenende zu fragen ob er mit ihnen um die Häuser ziehen möchte. Denn die erhalten ständig eine Absage.
Naja, ich neige dazu abzuschweifen.
Wie du es richtig erwähnt hast, der Grund liegt nicht bei den Spielen an sich, sie werden einfach als direkter Sündenbock genutzt.

knifed,
Phill

Jonas hat gesagt…

So, etwas verspätet auch noch mein Kommentar:
Erstmal finde ich den Artikel super. Habe ihn im Internet noch etwas bekannt gemacht ;-)

Ich finde es schockierend, wie die Medien berichten. Zum Glück hat wenigstens der Spiegel einmal die Fakten klargestellt.
In Deutschland gibts ja wirklich ernst zu nehmende soziale Probleme - aber es ist einfach SO viel einfacher, die Schuld auf die Games zu schieben.
Bastians Ziel war unter anderem, durch seinen Amoklauf Aufmerksamkeit zu erregen und zur Diskussion anzuregen. Jetzt die Schuld den Killerspielen zuzuschieben, provoziert nur weitere Amokläufe und verschlimmert alles.

Gute Erziehung und Bildung sind nicht einfach - aber Amokläufe lassen sich damit ganz sicher verhindern.

90% aller Amokläufer spielen Computerspiele. 100% aller Amokläufer essen Brot. Verbietet Brot!

Anonym hat gesagt…

Hi Sevi,

ich stimme Dir zu, dass die Gründe für Bastian B's Amoklauf wohl kaum in dem Spielen dieser Games bestehen kann - wie Du ganz richtig schreibst, hat der Gewalttäter doch selbst die Gründe für seine Tat genannt.

Allerdings bin ich nicht damit einverstanden, dass die Politik daher einen Grund für die Tat geliefert hat, weil sie zuwenig für die Bildung getan hat. B.'s Hinweis "ich habe nur gelernt, dass ich ein Verlierer bin" verweist doch gerade auf eine Leistung des Bildungswesens: Es macht Schüler zu Verlierern und gibt das dann auch noch als Wesen der Schüler aus. Also ist es nicht zuwenig, sondern das Ziel der hiesigen Art von Schule, die B. zum ausrasten bewegt hat.

Diese Analyse erklärt die Tat m.E. ganz ordentlich.